Verhüllungsanweisung und Verhüllungsverbot – Abbildungen ungleicher Machtverhältnisse

“Mit der Annahme der Verhüllungsinitiative würden Menschen kriminalisiert ohne dass sie irgend einen Schaden angerichtet hätten”, stellt Dora Borer in ihrem Artikel über die Burka-Initiative fest: “Allein, weil sie ihr Gesicht bedeckt hielten, würden sie straffällig. Wollen wir das?”

Die Autorin doktoriert an der Universität Basel in Religionswissenschaft. Ihr Dissertationsthema: «Bilder muslimischer Frauen im Spannungsfeld von Religion und Politik».

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Auszug:

Kleidung war bisher ein Aushandeln innerhalb der Gesellschaft und spezifisch innerhalb einer Familie oder Lebensgemeinschaft, verbunden mit individuellen Bedürfnissen und Wünschen. Wenn sich eine ältere Familienmutter offenherzig und in sexy Kleidung in der Öffentlichkeit bewegt, schreit niemand nach einem Gesetz, das die gesellschaftliche Vorstellung einer älteren Frau und einer Mutter mit Kleidungsvorschriften abbildet und regelt. Die Frau und ihr Lebensumfeld handeln es aus und finden zusammen einen Umgang – oder auch nicht. Erst recht wird männliche private Kleidung oder Bedeckung von Körperteilen in öffentlichen Räumen nicht zum Gegenstand von Gesetzen gemacht.

Die Initiative leistet keinen Beitrag zur Vermeidung von Gefahren oder Verbrechen. Sie erreicht nur, dass unsere Gesellschaft unfreier wird, dass der private, persönliche Alltag mit dem Eingriff in die Garderobe eingeschränkt wird. Eine Gesichtsverhüllung per se ist keine Gefahrenquelle, mit einem Verbot kann keine Gefahr vermieden werden, nur die individuelle Entscheidungsfreiheit wird beschnitten. Wie die Vertreter*innen der Initiative argumentieren, kann Verhüllungsanweisung tatsächlich Unterdrückung sein. Dasselbe kann jedoch auch ein Verhüllungsverbot bewirken. Beide stellen nicht allein als Akt eine Unterdrückung dar, bilden vielmehr ungleiche Machtverhältnisse ab und zeigen die damit mögliche Gewaltausübung. Wenn unterdrückte Frauen in ihren Freiheiten unterstützt und gefördert werden sollen, dann gilt es gegen Machtmissbrauch vorzugehen und Möglichkeiten eines Ausstiegs bereitzustellen, sei es gesetzlicher Natur (Bleiberechte) oder gesellschaftlicher (Beratung und Begleitung, Akzeptanz) – wie es auch Amnesty International fordert:

«Voraussetzung für die tatsächliche Durchsetzung von Menschenrechten ist, dass die nötigen Rahmenbedingungen geschaffen werden, damit Frauen ihre Rechte in voller Freiheit ausüben und einfordern können. Dazu zählen zum Beispiel migrations- und integrationspolitische Massnahmen, die die besondere Situation von mehrfach diskriminierten Frauen anerkennen und berücksichtigen, und die Bereitstellung von soziokulturellen Angeboten, die das Selbstbestimmungsrecht von Frauen und ihre Teilhabe am öffentlichen Leben und an allen sie betreffenden Entscheidungen fördern.»”

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